Das Kollmar & Jourdan Haus in Pforzheim – Industriegeschichte in architektonischer Eleganz
Das Kollmar & Jourdan Haus in Pforzheim – Industriegeschichte in architektonischer Eleganz
Industriegeschichte in architektonischer Eleganz
Die vom Pforzheimer Sedanplatz ausgehende Bleichstraße wurde in der Gründerzeit mit Querstraßen für die städtische Bebauung erschlossen. Es entstanden großstädtisch anmutende Wohnhäuser und Fabriken. Ab 1911 verkehrte die städtische Straßenbahn in der Bleichstraße, die nach der historischen Bleiche benannt wurde. Früher dienten die Uferwiesen südlich der Stadt zwischen Nagold, Metzelgraben und Bleichstraße als Wäschebleiche. Der Bedarf der Textilindustrie an Bleich- und Färbemitteln führte 1804 zur Gründung einer »Salmiakhütte« an der äußeren Bleichstraße, die 1823 von Johann A. Benckiser erworben und zur chemischen Fabrik ausgebaut wurde.
Wer heute durch die Bleichstraße in Pforzheim spaziert, wird unweigerlich von einem Gebäudekomplex angezogen, der mit seiner farbigen Backsteinfassade, glasierten Flächen und kunstvollen Details aus dem Rahmen fällt: das Kollmar & Jourdan Haus. Einst pulsierendes Zentrum der Schmuckproduktion, ist es heute ein Ort der Kultur, Bildung und Erinnerung. Es ist ein Gebäude, das Vergangenheit und Gegenwart auf faszinierende Weise verbindet.

Von der Schmuckfabrik zum Kulturdenkmal
Die Geschichte des Hauses beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. Die beiden Unternehmer Emil Kollmar und Wilhelm Jourdan gründeten 1885 ihre Schmuck- und Uhrkettenfabrik Kollmar & Jourdan AG, die sich schnell zu einem der bedeutendsten Schmuckhersteller Deutschlands entwickelte. Um der wachsenden Produktion gerecht zu werden, entstand zwischen 1901 und 1910 der Fabrikbau längs der Bleich-, Hans-Meid-, Kallhardt- und Schießhausstraße als Stahlskelettbau. Der Architekt Hermann Walder schuf einen Gebäudekomplex, der industriellen Nutzen mit künstlerischem Anspruch verband – ein Markenzeichen jener Zeit, in der Pforzheim als „Goldstadt“ internationalen Ruhm erlangte. Zeitweise arbeiteten hier mehr als 1.000 Beschäftigte.
Das Eckgebäude Bleichstraße 77 wurde 1922 nach Plänen des Karlsruher Architekturbüros Hermann Walder als Kontorhaus für die Schmuck- und Uhrkettenfabrik Kollmar & Jourdan erbaut. Eine Bogenbrücke stellt die direkte Verbindung zum Fabrikkomplex her. An der Fassade repräsentieren fünf mit Schmuck dekorierte Brustfiguren die fünf Erdteile, eine Allegorie der weltweiten Geschäftsverbindungen der Firma, die zum Beispiel ins russische Reich und nach Südamerika führten.

Jugendstil trifft Industriearchitektur
Architektonisch sticht das Haus sofort ins Auge: grün glasierte Klinker, weiße Gliederungen, bräunliche Akzente: eine Verkleidung aus farbig glasierter Keramik in Grün-, Rot- und Cremetönen verleiht dem Gebäude ein außergewöhnliches Erscheinungsbild. . Besonders eindrucksvoll sind die keramischen Medaillons mit Reliefdarstellungen der fünf Kontinente – ein Symbol für den weltweiten Handel mit Schmuck und Edelmetallen, den Pforzheim damals prägte. Über einem der Eingänge findet sich zudem eine gotisch inspirierte Supraporte, die die kreative Detailfreude der Epoche widerspiegelt.
Wer hier mit der Kamera unterwegs ist, entdeckt ein unerschöpfliches Spiel aus Linien, Ornamenten und Farben. Die Fassaden sind nicht nur ein Relikt der Industriegeschichte, sondern zugleich ein hervorragendes Motiv für Architekturfotografie.
Wandel nach dem Krieg
Im Zweiten Weltkrieg wurden beim Luftangriff vom 23. Februar 1945 große Teile Pforzheims zerstört. Das Kollmar & Jourdan Haus überstand die Katastrophe teilweise, der nordöstliche Gebäudeflügel an der Hans-Meid- und Kallhardtstraße wurde jedoch weitgehend zerstört. Auch bekrönende Ecktürme, Giebel und Dächer fielen den Bomben zum Opfer. Nach dem Krieg begann unter Max Kollmar der Wiederaufbau bis 1949, jedoch deutlich funktonaler und den Gegebenheiten geschuldet mit Flachdächern und Staffelgeschossen an Stelle der ursprünglichen Steildächer, Ecktürme und Giebel.
Doch die goldenen Jahre waren vorbei – 1977 folgte die Insolvenz und Liquidation der Schmuck- und Uhrkettenfabrik Kollmar & Jourdan. Zum Glück erkannte man den Wert des Bauwerks: Schon 1978 wurde es unter Denkmalschutz gestellt und in den folgenden Jahrzehnten für neue Nutzungen erschlossen.

Heute: Kultur, Lernen und Begegnung
Heute ist das Haus lebendig wie eh und je – wenn auch in anderer Form. Ab dem Jahr 2012 erfolgte die Renovierung und der Ausbau als Geschäftshaus. Im Nordflügel ist heute das 2017 umgestaltete Technische Museum der Pforzheimer Schmuck- und Uhrenindustrie eingerichtet, das die industrielle Vergangenheit der Stadt anschaulich dokumentiert. In den alten Produktionshallen stehen historische Maschinen, die noch immer an die Arbeit von Generationen erinnern. In den Obergeschossen der ehemaligen Fabrik befinden sich die Pforzheim Galerie und die Carlo Schmid Schule, sowie weitere Büros und Ateliers.
Das beeindruckende Technische Museum der Pforzheimer Schmuck- und Uhrenindustrie zeigt unter anderem das eine Sammlung historischer Maschinen. An 18 Stationen werden Produktionsschritte und Techniken erlebar, die für die Pforzheimer Schmuckindustrie typisch sind. Es handelt sich nicht um eine einzelne historische Fabrikausstattung, die Maschinen stammen aus unterschiedlichen Unternehmen und Zeiten. Zahlreiche Fabriken waren spezialisiert auf Teilbereiche, andere produzierten mit großer Fertigungstiefe in zahlreichen Arbeitstechniken.
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