Friedrich Joachim Stengel – Architekt des Saarbrücker Barock

Friedrich Joachim Stengel – Architekt des Saarbrücker Barock

Wer heute durch Saarbrücken spaziert, bewegt sich – ob bewusst oder nicht – durch ein Werk, das aus dem Geist eines einzigen Mannes entstand: Friedrich Joachim Stengel. Kaum ein anderer Architekt hat das Stadtbild einer ganzen Region so nachhaltig geprägt wie er. Zwischen 1735 und 1775 formte Stengel aus einer zerstörten Kleinstadt eine barocke Residenz von europäischem Rang – mit klaren Straßenachsen, symmetrischen Plätzen und einer Eleganz, die französische Leichtigkeit und deutsche Strenge vereint. Die Ludwigskirche, das Schloss, die Basilika St. Johann und viele weitere Bauten – sie sind bis heute steinerne Zeugnisse seiner Vision, Saarbrücken als Bühne barocker Ordnung und Schönheit zu begreifen. Selbst moderne Stadtstrukturen, vom Verlauf der Mainzer Straße bis zur Gliederung der Innenstadt, folgen noch den Linien, die Stengel einst zog. Seine Arbeit ist damit weit mehr als Architekturgeschichte: Sie ist ein Fundament Saarbrücker Identität.

Herkunft und frühe Berufsjahre

Friedrich Joachim Stengel wurde am 29. September 1694 in Zerbst (Anhalt) geboren. Sein Vater war der Oberbergmeister Johann Joachim Stengel, der aus Böhmen stammte und im Dienst des anhaltischen Hofes stand. [1] Er erhielt eine Ausbildung in Mathematik, Baukunst und Vermessung, vermutlich in den anhaltischen Diensten und unter der Aufsicht erfahrener Bauingenieure. [2]

Nach Studium (1708 bis 1712) und dem Militärdienst von 1712 bis 1715 beginnt Stengel eine erste zivile Tätigkeit als Feldmesser für den Oberbaudirektor des Herzogtums Sachsen-Gotha. 1719 wechselt er in selber Funktion nach Sachsen-Eisenach. Nach seiner Hochzeit mit Catharina Hoffmann wird er 1722 als Architekt an die Fürst-Abtei Fulda berufen, im Jahr 1727 zum Bau-Inspektor ernannt. [3] Spätere Studienreisen führten ihn durch Süddeutschland, möglicherweise bis nach Italien – darauf deuten Stilmerkmale seiner späteren Werke hin. [4]

Das „System Stengel“: Der Architekt, der Saarbrücken erfand

1733 berief ihn Fürstin Charlotte Amalia als Architekt des Hauses Nassau-Usingen, ihr Sohn Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken machte ihn 1735 zum Bau-Direktor für sein kleines, aber ambitioniertes Fürstentum an der Saar. Zu diesem Zeitpunkt war Saarbrücken nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts wirtschaftlich und baulich stark zerstört. [5] Stengel sollte in den folgenden Jahrzehnten das Stadtbild Saarbrückens grundlegend prägen.

Zwischen 1735 und 1775 entwickelte Stengel ein städtebauliches Gesamtkonzept für Saarbrücken. Es umfasste den Schlossbezirk, die barocke Achsenstruktur, den Schlossplatz und die Verbindung zur Stadt St. Johann. [6] Dieses Gesamtkonzept wird heute in der Forschung als „System Stengel“ bezeichnet. [7]

Basilika St. Johann
Basilika St. Johann
Basilika St. Johann
Basilika St. Johann

Wichtigste Bauwerke

Saarbrücker Schloss (1739–1748)

Der Umbau des Saarbrücker Schlosses zur repräsentativen Residenz erfolgte im Auftrag von Fürst Wilhelm Heinrich. Die Pläne sahen eine Dreiflügelanlage mit Ehrenhof, Mittelrisalit und Mansarddach vor – eine Synthese französischer Eleganz und deutscher Strenge. [8] Auf der Rückseite entstand ein großzügiger Schlossgarten, der in Terrassen nach unten abfiel. Bereits beim Schlossbau wählte Stengel die typisch gewordene grau-weiße Farbgebung, die zum besonderen Kennzeichen vieler Bauten der Stadt werden sollte. [9]

Ausgelöst durch die französische Revolution kam es im August 1793 zu Gefechten zwischen französischen und preußisch-deutschen Truppen in und um Saarbrücken. Artilleriefeuer der Franzosen traf das Schloss und sorgte für einen Brand, der sich rasch ausbreitete und weite Teile des Gebäudekomplexes zerstörte. Der Wiederaufbau erfolgte ab 1810 nach Plänen von Stengels jüngstem Sohn Balthasar Wilhelm Stengel und Johann Adam Küpper. Dies veränderte das Aussehen des Schlosses, da vom ursprünglichen Bau – verursacht durch den Brand – keine Pläne erhalten waren.

Auch im Jahr 1944 wurde das Schloss erneut beim Bombenangriff auf Saarrücken zerstört. Erst ab 1982 erfolgte der Wiederaufbau und die Renovierung zum heute bekannten Schlossbau mit Glasarchitektur nach Plänen von Gottfried Böhm et al. [10]

Basilika St. Johann
Basilika St. Johann
Basilika St. Johann
Basilika St. Johann
Basilika St. Johann

Ludwigskirche (1762–1775)

Im Jahr 1760 erfolgte die Aufforderung des Fürsten Wilhelm Heinrich an seinen Generalbaudirektor, er solle eine neue prächtige lutherische Kirche erreichten, nebst Bebauung eines hierzu erwählten großen Platzes mit 26 Gebäuden. Diese gesamte Anlage eben jenes Ludwigplatzes zählt heute zu den herausragenden baroken Architekturdenkmälern Deutschlands und die zentrale Ludwigskirche gilt als Stengels Hauptwerk. Die Kombination aus Kirche und Platzanlage gilt als Musterbeispiel barocker Stadtkomposition. [11]

Der Ludwigsplatz unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von anderen Barocken Platzanlagen dadurch, dass sich im Zentrum eine Kirche befindet. Der Bau ist als zentralisierter Saalbau konzipiert, mit vier gleichwertigen Fassaden und einer einheitlichen Platzgestaltung – dem Ludwigsplatz. [12] Die Namensgebung des Gesamtkunstwerkes ist dem Umstand geschuldet, dass Fürst Wilhelm Heinrich die Fertigstellung nicht mehr erlebt. Unter seinem Sohn Ludwig Fürst von Nassau (1745 – 1794) führte den Kirchenbau mit Stengel zu Ende und vollendete das das Gesamtensemble, welches nach nach ihm benannt wurde.

Basilika St. Johann (1735–1758)

Die katholische Hauptkirche Saarbrückens wurde im Auftrag des Fürsten für die wachsende katholische Gemeinde neugestaltet. Stengel verband französische Fassadenelemente mit süddeutschem Raumgefühl. Die Kirche erhielt 1953 den Rang einer Basilika minor. [13]

Einen tieferen Einblick in die Basillika St. Johann finden Sie hier in meinen Blog.

Weitere Werke

Zu den weiteren bekannten Werken Stengels gehören:

  • Schloss Jägersfreude (1749–1755, zerstört im 19. Jh.)
  • Amtshaus St. Arnual (1743–1745, heute Stadtarchiv-Nebenstelle)
  • Alte Brücke Saarbrücken (Wiederaufbau 1730er Jahre nach Stengels Plänen) [14]

 

Baukunst und Stil, Nachwirkung und Bedeutung

Weitaus bedeutender als einzelne Bauten ist jedoch der Architekturstil, der in ganz Alt-Saarbrücken und St. Johann zu finden ist. Fast unzählige weitere Bauten in Alt-Saarbrücken und St. Johann, immer erkennbar an der einheitlichen Architektur mit seinen grau-weißen Fassaden. Ob nun von Stengel oder mit seiner Hilfe erbaut oder aber auch nur seinem Stil nachempfunden, die heutige Saarbrücker Innenstadt ist gespickt mit der typischen Stengelarchitektur.

 

Stengels Architektur verbindet französischen Klassizismus (wie bei Jacques-François Blondel) mit süddeutschem Barock. Kennzeichnend sind klare Grundrisse, strenge Symmetrie und eine „repräsentative Nüchternheit“. [15] Er gilt als Vertreter des rheinischen Spätbarocks mit Übergang zum Frühklassizismus. [16]

 

[hier Beispielbilder von anderen Bauten und Plätzen]

Nach dem Tod Fürst Wilhelms Heinrich (1768) und Fürst Ludwigs (1775) kam der höfische Bau weitgehend zum Erliegen. Stengel zog sich in Saarbrücken zurück und starb am 10. Januar 1787, nahezu 93-jährig. [17] Stengels Stadtplanung, das Schloss und die Ludwigskirche prägen das Stadtbild bis heute. Die UNESCO-Kommission für Denkmalpflege bezeichnete die Ludwigskirche und den Ludwigsplatz als „einzigartiges Beispiel protestantischer Stadtkirchenarchitektur des 18. Jahrhunderts“. [18]

Das Erbe: Balthasar Wilhelm Stengel (1748 – 1824): Baumeister der zweiten Generation

Balthasar Wilhelm Stengel, geboren 1748 in Saarbrücken als zweiter Sohn Friedrich Joachim Stengels, setzte das architektonische Erbe seines Vaters fort und prägte in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts das Stadtbild der Region mit. [19]

Nach einem Studium der Rechtswissenschaften wandte er sich endgültig der Architektur und dem Bauwesen zu; ab 1780 leitete er das Bauwesen im Oberamt Harskirchen (Grafschaft Saarwerden), was den Beginn einer intensiveren Bautätigkeit markierte. 1785 wurde Balthasar Wilhelm offiziell zum Oberbaudirektor und Kammerrat ernannt — womit er die Funktion seines Vaters als führender Baumeister des Fürstentums Nassau-Saarbrücken übernahm. [20]

In den folgenden Jahren standen zahlreiche Bau-, Brücken– und Stadtentwicklungsprojekte unter seiner Leitung. Besonders wichtig ist sein Beitrag zur Fortführung und Erweiterung der barocken Stadtplanung: So war er verantwortlich für den Neubau der Brücke über die Saar (nach dem Einsturz der alten Brücke 1784), den Ausbau des Bebauungsplans für die „Obere Vorstadt“ in St. Johann (heute etwa Mainzer Straße), sowie für profane Bauten, Kirchen und Schlossanlagen im weiteren Gebiet — darunter Schlossanlagen, Pfarrhäuser, Gartenanlagen und Brücken.

Bewahrer und Weiterentwickler des Stengel-Erbes

Mit Balthasar Wilhelm erhielt das Bauwesen der Region nahtlos eine zweite Generation, die den architektonischen Geist und die städtebaulichen Ideen seines Vaters nicht nur weitertrug, sondern auch an die veränderten Bedürfnisse einer wachsenden Stadt anpasste. Unter seiner Leitung wurde der barocke Grundplan Saarbrückens erweitert und ergänzt — die strukturelle Grundordnung blieb erkennbar, wurde aber flexibel weiterentwickelt. [20]

Der älteste Sohn: Johann Friedrich Stengel (1746 – ca. 1830)

Stengel hatte auch einen Sohn, der in seine Fußstapfen trat. Johann Friedrich Stengel wurde am 5. August 1746 in Saarbrücken geboren. Er war der älteste Sohn des Friedrich Joachim Stengel und dessen Ehefrau Clara Elisabeth Storch. [21]

Um 1769 trat Johann Friedrich in den Dienst des Fürstentums Nassau-Saarbrücken und arbeitete zunächst als Baukondukteur (technischer Zeichner und Bauleiter), später als Baumeister unter der Oberaufsicht seines Vaters. In den 1770er-Jahren war Johann Friedrich Stengel an mehreren Bauprojekten beteiligt, meist in leitender oder ausführender Funktion. Nach Angaben des Künstlerlexikons und der Wikipedia-Fassung [22] handelte es sich u. a. um folgende Bauten:

  • Evangelische Kirche in Jugenheim (Rheinhessen) – Bauleitung vermutlich zwischen 1769 und 1772.
  • Evangelische Kirche in Berg (Unter-Elsass) – 1770–1773 unter seiner Bauaufsicht.
  • Evangelisches Pfarrhaus in Heusweiler (Saarland) – bis 1774 unter seiner Verantwortung als Bauleiter.
  • Entwurf der Evangelischen Kirche Niederlinxweiler (1774) – der Bau wurde von einem anderen Baumeister ausgeführt, jedoch nach Stengels Entwurf.

Er übernahm somit viele Projekte, die auf den Entwurfsprinzipien seines Vaters aufbauten – klar gegliedert, symmetrisch, mit protestantisch-reformierter Raumauffassung.

Wechsel nach Russland

Im Januar 1776 trat Johann Friedrich Stengel in den Dienst der russischen Zarin Katharina II. der Großen. Dort russifizierte er seinen Namen zu Fjodor Fjodorowitsch Stengel (Фёдор Фёдорович Штенгель) und arbeitete zunächst in Twer, später in St. Petersburg. Dort war er laut russischen Quellen an der königlichen Bronzefabrik beteiligt, die später Teile der Ausstattung der Isaakskathedrale lieferte. Außerdem war er zeitweise an Bau- und Restaurierungsarbeiten der Zarenresidenzen beteiligt (ebd.).

Sein Lebensende ist nicht genau dokumentiert; die meisten Quellen nennen „nach 1830“ als ungefähres Todesjahr in St. Petersburg.

Johann Friedrich Stengel war kein genialer Neuerer wie sein Vater, aber ein präziser, technisch begabter Architekt, der den hohen Anspruch des Nassau-Saarbrücker Barocks weiterführte und schließlich im Dienst Katharinas II. zu einem international tätigen Bauingenieur wurde.

Sources

[1] vgl. Wolfgang Götz: Friedrich Joachim Stengel. Der Baumeister des Saarbrücker Barock, Saarbrücken 1987, S. 11 ff.

[2] vgl. Hans-Jürgen Schwartz: Stengel, Friedrich Joachim, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 25, Berlin 2013, S. 397–399.

[3] vgl. Ulrike und Mafred Jacobs: Saarbrücken und sein barockes Erbe: Ein Spaziergang auf den Spuren von Friedrich Joachim Stengel; Geistkirch Verlag, Saarbrücken 2019, S. 21.

[4] vgl. [1], S. 18).

[5] vgl. Stadtarchiv Saarbrücken, Best. Fürstlich-Nassauischer Hausarchivfonds, Akte 1733/04.

[6] vgl. Landesdenkmalamt Saarland, Denkmaltopographie Saarbrücken, Bd. 1, 1993, S. 45–52.

[7] Dieter Kimpel: Stengels Stadt. Saarbrücken im 18. Jahrhundert, in: Saarländische Heimatblätter 1980, Heft 2, S. 37–48.

[8] Hans-Joachim Kühn: Das Saarbrücker Schloss und sein Architekt Friedrich Joachim Stengel, Saarbrücken 1981, S. 64–79.

[9] Ulrike und Mafred Jacobs: Saarbrücken und sein barockes Erbe: Ein Spaziergang auf den Spuren von Friedrich Joachim Stengel; Geistkirch Verlag, Saarbrücken 2019, S. 26.

[10] Landesdenkmalamt Saarland, Restaurierungsbericht 1990.

[11] Kiesow, Gottfried: „Barocke Stadtanlagen in Deutschland“, München 1985, S. 156 ff.

[12] Barbara Cersowsky: Die Ludwigskirche in Saarbrücken. Architektur und Ausstattung, Saarbrücken 1992.

[13] Klaus Kell: Die St. Johann-Kirche in Saarbrücken, in: Saarländische Beiträge zur Kulturgeschichte, 1975, S. 88–102.

[14] vgl. Landesdenkmalamt Saarland 1993, S. 75–88.

[15] vgl. [7], S. 41.

[16] vgl. [1], S. 44.

[17] vgl. [2], S. 399.

[18] vgl. ICOMOS Deutschland: Bericht zur Denkmalpflege im Saarland, Berlin 2005, S. 23.

[19] vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Balthasar_Wilhelm_Stengel

[20] vgl. https://institut-aktuelle-kunst.de/kuenstlerlexikon/stengel-balthasar-wilhelm

[21] vgl. https://institut-aktuelle-kunst.de/kuenstlerlexikon/stengel-johann-friedrich-fjodor-fjodorowitsch

[22] vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Stengel

Saarbrücker Schloss mit Brunnen
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