Wer in Saarbrücken studiert, lernt ziemlich schnell den Namen einer Kneipe / eines Restaurants kennen: Die kleine Tonhalle. Doch ist es nicht der geschichtliche Bezug, der den fleißigen Studenten dort hintreibt, sondern die sagenumwobenen, reichhaltigen Portionen Spagetti Bolognese, die es für günstiges Geld zu erwerben gibt. Wohl die wenigsten hinterfragen, was es mit dem Namen der kleinen Tonhalle auf sich hat. So bleibt den meisten unbekannt, dass die Namensgebung der kleinen Tonhalle eine Reminiszenz an die „Tonhalle“ ist, ein großes Lokal in Saarbrücken, welches bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg direkt gegenüber stand und als Konzert- und Gesellschaftshaus beschrieben wurde.
Die kleine Tonhalle in der Wilhelm-Heinrich Straße
Die originale Tonhalle wurde zum Schauplatz eines der wohl skurrilsten Abende im Autorenleben des deutschen Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse. Am 22. April 1912 war der noch junge Autor der Einladung des Saarbrücker Vereins der Württemberger gefolgt um aus seinen Werken zu lesen. Für Hesse unvergessen wurde der Abend aus mehreren Gründen. Zum einen erwartete das mäßig herbeiströmende Publikum einen Humoristen, also einen Witzerzähler und machte aus seinem Unmut keinen Hehl, als es keinen solchen präsentiert bekam. Zum anderen wurde Hesses Lesung durch den Geräuschpegel aus dem Untergeschoss massiv gestört. Dort fand zur selben Zeit eine als „Biermusik“ bezeichnete, lautstarke Veranstaltung statt, die deutlich mehr Zuspruch bei der Saarbrücker Bevölkerung fand. [1]
Hermann Hesse hat den äußert erfolglos verlaufenden Abend sowie seine Begegnung mit den Gastgebern und seine Unterkunft beim Präsidenten des Vereins der Württemberger, Gottlob Fritz, und seiner Gemahlin in der Mainzer Straße 23 in einer Kurzgeschichte verarbeitet. Der „Autoren-Abend“ wurde am 23. Juli 1914 erstmals in der Münchner Zeitschrift „Simplicissimus“ veröffentlicht. Er nennt die Orte und Personen jedoch nicht beim Namen. So tauft er Saarbrücken kurzerhand in „Querburg“ um, sein Gastgeberfamilie Fritz heißt in der Erzählung Schievelbein. Hesse stellt den Zusammenhang erst im Jahr 1953 in einem Brief explizit her. [2] „Das Städtchen war Saarbrücken, und es ist alles wörtlich wahr, Philisterhaus mit goldenem Stuhl und Papagei, Vorlesung im halbleeren Sälchen überm Riesensaal mit Bierkonzert, und alles.“ [3]
Haus in der Mainzer Straße 23, in dem Hermann Hesse bei Familie Fritz übernachtete
Herausgegeben von Ralph Schock erschien im Jahr 2000 im Verlag Gollenstein ein Büchlein über die Anekdote. Es ist nicht besonders dick und äußerst kurzweilig und ist hiermit jedem Interessierten ans Herz gelegt. [1] Es dokumentiert die Umstände der Lesung, zeigt Fotografien des Dichters und des Veranstaltungsortes Tonhalle und liefert eine Kopie der Vorankündigung sowie des späteren Berichtes in der Saarbrücker Zeitung. Natürlich enthält es auch die originale Erzählung „Autoren-Abend“ von Hermann Hesse sowie Fotografien des handschriftlichen Originals. Auch die am verhängnisvollen Abend vorgetragenen Texte sind enthalten.
Quellenangaben und Anmerkungen
[1] Schock, Ralph (Hrsg.): Hermann Hesse, Autorenabend in Saarbrücken. Verlauf und Folgen der Lesung vom 22. April 1912; Gollenstein Verlag, Saarbrücken 2000.
[2] Schank, Stefan: Leider kein humoristischer Rezitator: Hermann Hesses Lesung in Saarbrücken vom 22. April 1912. URL: http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=4711, abgerufen am 03.12.2016, in Bezug auf: Michels, Ursula; Michels Volker (Hrsg.): Hesse, Hermann: Gesammelte Briefe, Band 4; Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1979.
[3] gesehen bei: Immer, Nikolas: Lesen statt Lachen. Hesses Erlebnis in der Querburger Provinz. In: Binggeli, J. Ulrich (Hrsg.): Heimweh nach Freiheit. Resonanzen auf Hermann Hesse, Tübingen 2012, S. 54–59, in Bezug auf: Michels, Ursula; Michels Volker (Hrsg.): Hesse, Hermann: Gesammelte Briefe, Band 4; Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1979.